Aufräumen – Schattenarbeit

Es ist zu begrüßen, wenn immer mehr Menschen Achtsamkeit durch Meditation trainieren. In Unternehmen kann dies bei der Stressprävention helfen, die Potentialfreisetzung der Mitarbeiter fördern und zu befriedigerenden Formen der Zusammenarbeit führen. All das wird auch die Produktivität erhöhen. Aber mehr Achtsamkeit kann nicht alle Probleme lösen.

Durch Meditation entwickelte Achtsamkeit offenbart mir vielleicht nicht adäquate Handlungsweisen, die mich selber stören. Vertiefte Meditation hilft aber nicht zwangsläufig dabei, mir neue Handlungsmuster anzueignen, da ich möglicherweise „blind“ für die Ursachen, die in meiner Entwicklungsgeschichte liegen, bin.

Beim Übergang von einer Entwicklungsstufe zur nächsten können, wenn die Schritte Differenzieren (Aufheben und Transzendieren der alleinigen Identifizierung mit der bisherigen Stufe) und Integrieren (Einschließen der bisherigen Stufe von der nächsthöheren Stufe aus) nicht fehlerfrei verlaufen, Störungen entstehen. Die zwei häufigsten Fehler/Störungen sind

  • Versagen bei der Differenzierung/Transzendierung, was zu Fixierungen führt und
  • bei der Integration, was zu Verdrängung und Abspaltung führt.

Fixierungen eröffnen ein Suchtpotential, unvollständiges Integrieren (Dissoziation, Leugnung, Abspaltung) wiederum kann sich in Allergien zeigen. Durch eine Dissoziation und damit Nicht-Integration kann sich ein Schatten abspalten, der dann ein Eigenleben führt und in Form einer Projektion auf meine Umwelt übertragen wird (das „Monster“ da draußen).

An dieser Stelle wird dann „Schattenarbeit“ notwendig sein. Beispielsweise wird im sog. „3-2-1 Prozess“ zur Re-Integration wird über die Stufen

  • das Monster (der Schatten) der dritten Person („Es“) (3) zurückverwandelt in
  • Dialogstimmen der zweiten Person („Du“) (2) um sich dann
  • mit diesen Stimmen wieder zu identifizieren (1. Person „Ich“) (1).

Wenn ich mir den Schatten nicht erst wieder aneigne (vom ES zum ICH) kann Meditation auf die mit diesem Schatten verknüpften Eigenschaften, die Entfremdung verstärken – aus „Transzendieren und Integrieren“ wird „Tranzendieren und Verleugnen“.

Achtsamkeitsmeditation ist eine gute Möglichkeit, mir meiner automatisierten Reaktionsmuster bewusst zu werden, da sie mich in die Lage versetzt, die Zeitspanne zwischen Reiz und Reaktion zu verlängern. Aber Meditation allein ist nicht notwendigerweise ausreichend, um neue Reaktionsweisen zu etablieren.


Literatur

Ken Wilber: Integrale Psychologie – Geist, Bewußtsein, Psychologie, Therapie (2001) Arbor Verlag, Freiamt.

Ken Wilber: Integrale Spiritualität – Spirituelle Intelligenz rettet die Welt (2007) Kösel-Verlag, München.

Ken Wilber: Integrale Meditation – wachsen, erwachen und innerlich frei werden (2017) O. W. Barth Verlag, München.

Dr. Peter Wolfrum