Ist der Meditationsraum im Büro …

… nur ein billiger Abklatsch eines Zen-Klosters?

Den Unternehmen, die Achtsamkeitstrainings für Ihre Mitarbeiter einführen, wird zum Teil vorgeworfen, dass das, was einst als ganzheitliche Weisheitspraxis begann, nun in Übungseinheiten abgepackt, entzaubert und säkularisiert wird, um es zur konkreten Selbstoptimierung ohne jedes höhere Erkenntnisstreben anwendbar zu machen. Ein Meditationsraum im Büro sei eben nur ein billiger Abklatsch eines Zen-Klosters, ohne Geist, ohne Tiefe (vgl. u.a. Bernd Kramer: „Ooomm, mein Gott!“ in Zeit-online am 10.09.2018).

Dabei ist es doch gerade ein Bestreben des Zen, die Achtsamkeit aus den Mauern eines Zen-Klosters in den Alltag des normalen Lebens zu bringen (vgl. z.B. Charlotte Joko Beck: „Zen im Alltag“, Goldmann 2011), also auch in den Arbeitsalltag. Ein Meditationsraum im Büro muss also kein billiger Abklatsch eines Zen-Klosters sein – die Frage ist: „Was passiert in dem Meditationsraum?“

Eine Achtsamkeitsmeditation ohne Geist und ohne in eine gewisse Tiefe vorzudringen, ist eigentlich gar nicht möglich. Sonst ist es keine Achtsamkeitsmeditation. Es entfaltet sich ein sich vertiefender Prozess, dessen Ergebnis sich im Laufe der Zeit zeigen und nicht vorweggenommen werden kann.

Daher ist es doch ganz o.k. einfach anzufangen und kulturelle Oberflächenstrukturen (Religionen, Glaubenssysteme, Symbole) einfach wegzulassen. Das Zen ist hier auch sehr schlicht. Es entwickelt sich dann ein Prozess der wissenschaftlichen Selbst-Erforschung der Funktionsweise des eigenen Geistes, der im Laufe der Zeit wahrscheinlich immer weiter in die Tiefe führen wird.

Folgerichtig stellt sich nach der Erkenntnis, dass ich nicht nur mein Körper bin, dass ich nicht nur meine Gefühle bin, dass ich nicht nur meine Gedanken bin, die ich alle als Objekte wahrnehmen kann, die Frage, wer eigentlich das dahinterliegende wahrnehmende Subjekt ist.

Warum sollten solche Erforschungen und Fragen nur hinter Klostermauern und nicht auch in einem Büro stattfinden?

Und wenn mehrere Individuen in einer Gemeinschaft – sei es nun ein Kloster oder ein Unternehmen – in diesem Prozess der Erforschung des Geistes voranschreiten, so wird im gemeinsamen WIR-Raum dieser individuellen ICHs ebenfalls ein Entwicklungsprozess hin zu mehr Bewusstheit einsetzen. Das wird sich in der Art und Weise, wie die intersubjektiven Themen dieser Gemeinschaft (gemeinsame Werte und Kultur) diskutiert werden, auswirken. Im gemeinsamen inneren Raum wird man ein verändertes Verständnis der Zusammenarbeit, basierend auf den individuellen Erkenntnissen der eigenen Erforschung des Geistes, entwickeln. Dieser evolutionäre Prozess steuert sich selber, die Veränderungen im intersubjektiven inneren Verständnis der Gemeinschaft werden irgendwann auch zu äußerlich sichtbaren Veränderungen in der Organisation der Zusammenarbeit führen. Wie schnell diese Veränderungen eintreten werden und wie sie konkret aussehen, ist nicht exakt vorhersehbar.

Keinesfalls macht es Sinn, mit den äußerlichen Veränderungen beginnen zu wollen.

Folgender Weg erscheint also durchaus sinnvoll:

  1.       Beginne mit der Erforschung Deines Geistes, z.B. durch Achtsamkeitsmeditation.
  2.       Tue das da, wo auch immer Du gerade bist (Kloster oder Büro).
  3.       Tausche Dich mit Menschen aus, die das Gleiche tun (Deinen Brüdern und Schwestern im Kloster oder Deinen Kollegen im Büro)
  4.       Schaffe in diesem intersubjektiven Austausch eine passende Kultur mit passenden Werten, die die individuell-subjektiven Erkenntnisse des Prozesses unterstützen.
  5.       Schaue, wie sich im Äußeren ggf. neue sinnstiftende Formen der Zusammenarbeit entwickeln und gestalten lassen.

Dr. Peter Wolfrum